Naturwissenschaft und Mythos (III)

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I.1.3. Definitionen
Es ist nun angebracht einige Definitionen zu klären, denn bisher habe ich den Mythos und die Mythen bewusst undifferenziert nebeneinander gestellt, wie es häufig in der Literatur geschieht wodurch das Thema eine ausufernde Unüber-sichtlichkeit erhält. Solche Definitionen sind immer schwierig, da man in ihnen einen Ausgleich zwischen der ursprünglichen Bedeutung des Wortes und den historischen und aktuellen Gebrauchsformen finden muss. So entstammt das Wort Mythos dem Griechischen und bedeutete soviel wie Wort, Rede, Erzählung, Fabel, Sage. (Dudenredaktion, 2001) Odo Marquard schreibt stark verallgemeinernd: „Ein „mythophilos“ – Aristoteles bezeichnet sich so – ist einer, der gern Geschichten hört: den täglichen Klatsch, Legenden, Fabeln, Sagen, Epen, Reiseerzählungen, Märchen, Kriminalromane, und was es an Geschichten sonst noch gibt“. (Marquard, 1981, S.93) Doch Marquard macht es sich zu einfach, wenn er Mythen und Geschichten jeder Art gleichsetzt. Denn wie gezeigt, änderte sich schon bei Platon der Begriff, so dass er nun nicht mehr jede Art von Rede meinte; eine Entwicklung, die gerade in Hinsicht auf die Differenzen zwischen Naturwissenschaft und Mythos von entscheidender Bedeutung ist. Daran anschließend wurde der Begriff Mythos sehr stark mit der Vorstellung von griechischen, insbesondere Homers Götter- und Heldensagen besetzt, was wiederum dazu führte, dass Entstehungs- und Göttergeschichten generell unter diesem Begriff subsummiert wurden. So unterlag der Begriff Mythos einem stetigen geschichtlichen Wandel, während dessen sich immer mehr Bedeutungsebenen und Interpretationen ausbildeten, so dass Peter Tepe heute aus literaturwissenschaftlicher Sicht 73 verschiedene Bedeutungen von Mythos zu liefern weiß, die von Bedeutung 1: Mythos/Mythe = Erzählung von Göttern, Heroen und anderen Gestalten und Geschehnissen aus vorgeschichtlicher Zeit über Bedeutungen wie 15: Mythos = Inbegriff idealen Verhaltens; 26: Kratzen am Mythos = Erschüttern einer positiven Überzeugung, eines positiven Bildes;  60: Mythos = Negatives Bild bzw. Image; 64: Mythos = Kollektive Phantasie, kollektives Wunschbild bis zu 73: Kindheitsmythos = Kulturprägende Auffassung von Kindheit führen. (Tepe, 2001)

Dies erwägend, möchte ich eine erste Unterscheidung zwischen dem Begriff Mythos in der Einzahl, sowie Mythologien und Mythen in der Mehrzahl treffen. Der Begriff Mythos ist – ausgehend von Platon – innerhalb einer dualistisch geprägten, abendländischen Philosophie in Abgrenzung zum Logos und damit zur Philosophie und später zur Naturwissenschaft und Aufklärung konstruiert worden. Als solcher beschreibt er nicht so sehr eine Ontologie oder einen Weltbezug, sondern ist selbst ein ontologisch geprägter und bewerteter Grundbegriff. Damit ist er für die Untersuchung von Funktionen und Risiken der Mythen selbst sekundär. Interessant ist er jedoch in seiner Funktion zur Etablierung und Festigung gerade desjenigen dualistischen Weltverständnisses, aus dem heraus er entstanden ist. Wenn ich ihn im Folgenden verwende, dann geschieht das, um Positionen innerhalb dieses Weltverständnisses erläuternd nachzuvollziehen. Das führt in einigen Passagen zu einer gewissen Unschärfe innerhalb meiner eigenen Überlegungen, glauben doch die jeweiligen Autoren, mit dem Mythos alle Mythen sowie das Weltverständnis der „mythischen Menschen“ gleichermaßen fassen und klären zu können, während ich die soeben beschriebene Sicht auf den Begriff Mythos zugrunde lege. Doch diese Unschärfe lässt sich an dieser Stelle noch nicht verhindern. Einen Mythos (unter vielen) möchte ich dagegen dicht an der griechischen Ursprungsbedeutung Wort, Rede, Erzählung, Geschichte, Fabel, Sage definieren. Um aber nicht jede Differenzierungsmöglichkeit zu verlieren, ist es mir wichtig, ihn nicht wie Marquard einem absoluten Oberbegriff gleich aufzufassen, unter den jede sprachliche Wendung fällt. Zumindest aus heutiger Sicht gibt es elementare Unterschiede zwischen einem Mythos und dem täglichen Klatsch, einem Witz oder einem Kriminalroman. Als einen Mythos verstehe ich vielmehr eine Geschichte von hoher Komplexität, sowie kultureller und sozialer Bedeutung für die jeweilige Kultur. Die Hypothese dabei lautet, dass ein Mythos kommunikative Praxis – in der Regel mündliches Erzählen – ist, die in besonderem Maße kulturelle Werte und Normen transportiert und diese gleichzeitig einem reziproken Schaffens- und Verstehensprozess, wie ich noch anhand des professionellen Geschichtenerzählens erläutern werde, unterzieht. Mythen im Plural wären dann die jeweils unterschiedlichsten Formen und Ausgestaltungen dieser kommunikativen Praxis: die Geschichten mit ihren jeweiligen Inhalten. Unter Mythologie wäre eine Sammlung solcher Mythen zu verstehen, die einen gleichen kulturellen und damit ontologischen und paradigmatischen Hintergrund besitzen. Wir können diesen Begriff also zur Zusammenfassung verwenden, wollen wir z.B. von der griechischen Mythologie, der Mythologie der Aborigines oder der des American Way of Life sprechen.

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2 Antworten zu “Naturwissenschaft und Mythos (III)”