Mythos Endlager

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Warum der Begriff “Endlager” dringend aus dem Diskurs gestrichen werden sollte.

Seit über die deutschen Atomkraftwerke und die Lagerung des hochradioaktiven Mülls gestritten wird, ist auch der Begriff Endlager in Verwendung. Er bezeichnet ein Lager, in dem dieser Müll sicher verwahrt werden kann: ursprünglich für eine geschätzte Zeit von 10.000 Jahren, wobei 1 Millionen Jahre der angemessenere Wert sein dürfte, der mittlerweile auch vom BMU als Grundlage angegeben wird. Der Begriff Endlager wird dabei ebenso von Atomkraftbefürwortern wie Atomkraftgegnern verwendet. Gestritten wird lediglich darum, wo ein solches Endlager entstehen soll und wie man dessen Sicherheit gewährt. Der Begriff Endlager und die impliziten Bedeutungen, die ihm anhaften werden indes nicht diskutiert.

Ich behaupte, dass die Verwendung des Begriffes Endlager schon ein Zugeständnis an die Atomlobby ist. Solange dieser Begriff den Diskurs beherrscht, wird die Atomlobby einen Schritt voraus sein, wird ihr Bedeutungsrahmen und damit ihre Sicht der Dinge den Diskurs prägen und beherrschen. Daher ist es notwendig den Begriff “Endlager” und die Bedeutungen, die er transportiert offen zu legen, ihn zu entlarven und ihn aus jedem ernsten und realistischen Diskurs um die Lagerung von Atommüll zu streichen.

Es geht also nicht nur um ein Reframing des Begriffs, sondern um die Ersetzung mit einem der Realität und der Problematik angemessenen Begriff.

Welches Bedeutungsrahmen, welches Framing umgibt den Begriff “Endlager”?

Während der Begriff “Lager” in diesem Zusammenhang unproblematisch ist (er bezeichnet nichts weiter als die Tatsache, dass der atomare Müll gelagert werden muss), steckt die Brisanz in der Vorsilbe “End-“. Diese Vorsilbe ist in der deutschen Geschichte schon einmal zu unheilvoller Bekanntheit gelangt, durch den Begriff der Endlösung. Es geht mir nicht darum Atommüllagerung mit dem Holocaust zu vergleichen. Mich interessiert jedoch das Denken, das sich hinter der Vorsilbe “End-” verbirgt.

Wer die Vorsilbe “End-” benutzt, scheint davon auszugehen, dass es für bestimmte, als Problem wahrgenommene Sachverhalte Lösungen gibt, die endgültig sind. Das Finden dieser Lösung verbürgt, dass das Problem in Zukunft nicht mehr auftreten wird. Dahinter steht ein monokausales Weltbild: wenn die richtigen Entscheidungen getroffen und die richtigen Handlungen vollzogen werden, kann ein Problem für immer aus der Welt geschaffen werden. Der Glaube an lineare Planbarkeit ist Ausdruck für die Hybris eines Weltverständnisses, das sich daran klammert, wir Menschen könnten die Welt nach unseren Vorstellungen vorausberechnen und nach unserem Willen kontrollieren. Der Wunsch Sicherheit über technische Kontrolle gewinnen zu können, prägt die Grundkonstitution derjenigen, die mit der Vorsilbe “End-” kein Problem haben.

Doch die Wissenschaft hat sich in allen Bereichen schon längst von diesem naiven Weltverständnis kausaler Planbarkeit gelöst. Wir wissen heute, dass die Welt in der wir leben konstanten Veränderungen unterworfen ist. Die komplexen Systeme unserer Welt sind weder eindeutig beobachtbar noch kausal steuerbar. Interventionen beeinflussen immer ein Geflecht wechselseitiger interagierender Kräfteverhältnisse. Absolute Planbarkeit und Kontrolle sind eine Illusion. Der Glaube an eine Endlösung in Form eines “Endlagers” für Atommüll ist eine Strategie der Atomlobby, die uns damit insgeheim ein Weltverständnis unterschiebt, das uns Glauben macht ein Problem wie die Atommüllagerung sei abschließend kontrollierbar. In dem Moment, in dem wir den Begriff “Endlager” benutzen oder auch nur akzeptieren, haben wir die dickste Kröte der Atomlobby schon geschluckt: wir akzeptieren die generelle Möglichkeit eines “Endlagers” und damit einer endgültigen Lösung des Atommüllproblems.

Wir sollten statt dessen den Begriff “Endlager” entlarven wo immer er uns begegnet und ihn nicht mehr als Grundlage seriöser Diskussion zur Problematik der Atommüllagerung zulassen. Statt dessen sollten wir schlicht von Lagerung sprechen:

Der Begriff Lagerung umschreibt sehr genau und realistisch was Atommülllagerung tatsächlich bedeutet: Jede Lagerung, also auch die Atommüllagerung, beinhaltet dauerhafte und kontinuierliche Verwaltung, Sicherung und Finanzierung. Erhaltungsmaßnahmen müssen an den Lagerstätten ausgeführt, Inventuren gemacht, regelmäßige Bestandserfassungen und Zustandsprüfungen der Lagerstätten durchgeführt werden.

Selbst wenn diese Aufgaben nur alle 10 Jahre durchgeführt werden müssten und man damit rechnet, dass im Durchschnitt alle 1000 Jahre Ausbesserungen oder Umlagerungen des Atommülls notwendig werden, bedeutet das bei einer Lagerdauer von 10.000 bis 1 Millionen Jahre 1000 bis 100.000 umfassende Prüfungen der Lagerstätten und 10 bis 1000 Ausbesserungen und/oder Umlagerungen. Und das alles unter der Annahme, dass unsere Gesellschaft ebenfalls über einen Zeitraum von 10.000 Jahren stabil ist, über das nötige Wissen, die nötigen Technologien und die nötigen Mittel verfügt um diese Aufgaben zu bewältigen. Es lohnt sich dabei daran zu denken, dass vor 2000 Jahren die Römer regierten bevor ihr Imperium zerfiel, dem Mittelalter, der Renaissance und schließlich der Moderne Platz machte. In diese Zeit fiel der 30-jährige Krieg sowie 2 Weltkriege, der Abwurf der ersten Atombombe, mehrere Epidemien und Diktaturen. Vor 500.000 Jahren haben wir übrigens gelernt mit Feuer umzugehen und vor 9.000 Jahren begannen die Menschen Metalle zu verwenden und die Steinzeit hinter sich zu lassen. Wer garantiert, dass in 5000 Jahren die Warnschilder an den Lagerstätten vorhanden sind oder überhaupt gelesen und verstanden werden? Was ist mit bewussten Anschlägen oder Missbrauch durch totalitäre Regime? Was in 10.000 bis 1 Millionen Jahren in der Natur passieren kann ist noch eine ganz andere Frage: Meteoriteneinschläge, Veränderungen in der tektonischen Struktur, Erhöhung des Meeresspiegels: selbst in Beton und Salz eingeschlossener Atommüll ist nur hypothetisch vor all diesen Eventualitäten sicher. Die Sicherheiten dazu werden statistisch errechnet mit Modellen, die der Wettervorhersage gleichen – say no more!

Wer nach all diesen nur oberflächlich angerissenen Überlegungen das Unternehmen einer auch nur 10.000 Jahre währenden Lagerung von Atommüll für unrealisitsch und nicht finanzierbar hält, ist selbst in der Realität angekommen und kann über einen Begriff wie “Endlager” nur als naive Propaganda schmunzeln. Zudem wird eine Erkenntis möglich, die der Begriff “Endlager” immer noch verstellt: zum Atomausstieg gibt es keine Alternative!

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