Grün ist nicht gleich Gelb!

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Warum sich das grüne Mem fälschlicherweise als integral versteht.

Ich sag`s gleich vorweg: ich bin kein „true believer“ der integralen Theorie. Ich sehe sie als ein theoretisches Modell, das in einigen Bereichen erstaunlich einfache aber erklärungsmächtige Analysen liefern kann. Darüber hinaus ist es ein leicht zu merkendes Hilfsmittel, um bestimmte Geisteshaltungen und Weltsichten zu klassifizieren und in Beziehung zueinander zu setzen. Viele Aspekte der integralen Theorie und im Besonderen der Spiral Dynamics helfen mir immer wieder, mich in sehr diversen Kontexten sehr schnell zu orientieren und die richtigen Kommunikationsmittel zu wählen.

Trotzdem ist die Theorie der Spiral Dynamics für mich keine Beschreibung der Realität, sondern ein performatives Modell, das bestimmte Akte, Kompetenzen und Haltungen unter bestimmten begrifflichen Kategorien versammelt. Sie ist eine Strukturierung und eingreifende Normierung bestimmter Weltverständnisse und damit sowohl ein analytisches als auch ein Bedeutung erzeugendes Werkzeug.

Am meisten gefallen mir an Spiral Dynamics die farbenfrohen Diskussionen, die immer irgendwo zwischen Stereotypen, Vorurteilen und Hierarchisierungen einerseits und sehr intelligenten, tiefgründigen Analysen andererseits changieren. Ich nehme sie daher sowohl mit Augenzwinkern und Vorsicht, als auch mit Freude und Einsicht auf.

In diesen Diskussionen fällt mir jedoch seit langem ein interessantes Muster auf: viele Menschen, die per Definition ihr Zentrum der Gravitation beim grünen Mem haben, bezeichnen sich und ihre Methoden und Haltungen als integral: also wahlweise als gelb oder türkis – oder sogar darüber hinaus. Häufig schimpfen sie wie die Rohrspatzen auf das grüne Mem, dem sie sich lange enthoben fühlen. Wem die Farben und ihre Zuordnungen bei Spiral Dynamics und weiterführend in der integralen Theorie nicht geläufig sind, dem empfehle ich folgendes einführende Interview mit Dr. Don Beck, um sich eine Basis für ein Verständnis der Meme (eigentlich vMeme) der Spiral Dynamics zu schaffen. Eine Googlesuche nach „AQAL“ fördert Graphiken zu Tage, die eine Weiterentwicklung von Kan Wilber darstellen.

Ach ja, und nochwas: ich selbst kann natürlich nur über dieses Thema schreiben weil ich selbstverständlich längst schon integral oder darüber hinaus bin und daher alle Möchtegernintegralen entlarven kann!

Um gleich das Thema auf den Punkt zu bringen: Menschen, die sich mit folgenden Dingen beschäftigen, beschreiben sich selbst immer wieder gerne als integral: Dragon Dreaming, Soziokratie, Ecovillage- und Permakultur Design, Grundeinkommen, Gewaltfreie Kommunikation und viele ähnliche Ansätze. Es gäbe noch viel mehr Bereiche, aber ich beschränke mich mal auf diese. Ich behaupte nun: Tiefgrüner geht es überhaupt nicht!! Jungs und Mädels, was denn bitteschön soll an diesen Themenfeldern integral sein?

Das Modell der Spiral Dynamics wurde u.a. von Don Beck auf Grundlage der Forschungen von Clare W. Gaves entwickelt. Es basiert auf jahrelangen Studien.

Das grüne Mem ist nach diesem Modell folgendermaßen definiert:

  • es beschreibt eine (öko-) systemische Weltsicht
  • es ist ein kollektivistisches Mem
  • es fokussiert auf Gemeinschaften, dem WIR und damit letztendlich auf Gaia (als ökologische Erdgemeinschaft)
  • die Metapher ist der Kreis

Als First-tier Mem geht es davon aus, dass seine Weltsicht besser ist als die der anderen Meme. Das ist per Definition bei allen First-tier Memen so. Das grüne Mem hat als letztes Mem im First-tier eine interessante Eigenart, die möglicherweise eine Mitursache für die Verwirrung ist: es möchte alles im eigenen Mem integrieren, ist aber nicht integral: es sagt z.B. Dinge wie: “Alles hat seine Berechtigung (bei uns im Kreis)”, oder: “Wir lassen jede Sicht zu (innerhalb unserer Gemeinschaft)” oder: “Alles hat einen Wert an sich (als Teil unseres Ökosystems)”. Diese Aussagen sind nicht integral! Sie sind vielleicht integrativ. Denn während alle anderen Meme behaupten: unsere Sicht ist richtig, alle anderen sind falsch, sagt das grüne Mem als Schwellenmem schon: Alle Meme sind ok, wenn sie sich in unseren Kreis begeben und sich harmonisch verhalten. Sprich, wenn sie sich in die Logik unseres Mems integrieren. Das ist aber nicht die Haltung, die mit den integralen Memen gemeint ist!

Erst im Second-tier verstehen wir: alle Meme dürfen nach ihrer eigenen Logik bestehen! Es gibt also durchaus Bereiche, in denen Autorität (blaues Mem) Sinn macht, für sich alleine und nach einer strengen Hierarchien (nicht im Kreis (grün), das wäre lächerlich). Auch kalte Rationalität und Effizienz (orange) kann äußerst effektiv sein und wird hin und wieder gebraucht (aber bitte nicht nach einer Konsensabstimmung in der Gemeinschaft (grün)) – und so weiter.

Gucken wir uns die oben genannten Themen an. Sie alle sind integrativ: sie versuchen eine Antwort auf Alles zu geben, indem sie es in die eigene Logik integrieren, nämlich in eine ökosystemisch-gemeinschaftliche Logik. Sie sind aber nicht integral. Sie lassen nicht wirklich eine Pluralität der Logiken nebeneinander zu.

Nehmen wir z.B. Permakultur Design. Ich selbst war lange Zeit sehr aktiv mit Permakultur beschäftigt und sehe es immer noch als eine gute Sache an, die mich sehr geprägt hat – und bis heute prägt.

Permakultur basiert auf dem Gedanken, dass wir menschliche Ökosysteme natürlichen Ökosystemen nachempfinden. Alles: Ökonomien, Gemeinschaften, Architektur, Organisationsmodelle und vieles mehr soll sich daran orientieren, wie vernetzte und in Kreisläufen funktionierende Systeme entstehen und funktionieren. Das ist eine ganz wichtige und sinnvolle Arbeit, aber sie ist nicht integral im theoretischen Sinn. Im Gegenteil bekämpfen ihre Protagonisten sowohl das orange Mem: die kalte Rationalität, die sinnentleerte Wissenschaft, die menschenverachtende Wirtschaft, ebenso wie das blaue Mem: die pyramidalen Hierarchien, die Bevormundung durch Staat oder Kirche etc.. Geld und Macht sind bei den meisten Permakulturist*innen böse oder zumindest dubios. Entscheidungen werden daher auch wenn möglich im Kreis und im Konsens getroffen. Permakultur ist wirklich toll und wichtig, aber grün pur! Fast Wortgleiches ließe sich z.B. über Dragon Dreaming oder Ecovillage Design sagen.

Schauen wir uns mal die Soziokratie an: aha, entschieden wird in Kreisen! Die Grundtheorie ist systemisch! Beim Konsent bin ich geneigt, Anflüge des Integralen gelten zu lassen. Vielleicht ist es aber auch nur ein Überbleibsel des orangen Mems, das auf mehr Effizienz hofft, als in einem grünen Konsenskreis möglich ist.

Interessant finde ich auch den systemischen Schematismus, der z.B. beim Dragon Dreaming extrem ausgeprägt ist: alles lässt sich in einem einzigen Schaubild integrieren! Das ist von der internen Logik her durchaus richtig, denn wenn alles Teil eines Ökosystems ist, dann gibt es vielleicht auch Naturgesetzte, die alles in der gleichen Form erscheinen lassen, wenn wir es einmal entschlüsselt haben. Es ist also integrativ und vielleicht auch holistisch, aber es ist nicht integral. Integral wäre eine Polylogik, die verschiedene Schematismen nebeneinander bestehen lässt oder gar auf Schematismen vollständig verzichtet!

Und Leute: das ist überhaupt nicht schlimm! Niemand braucht sich für das grüne Mem zu schämen. Im Gegenteil! Den Mainstream der Gesellschaft aus dem orangen ins grüne Mem zu bringen, ist die vornehmlichste und vornehmste Aufgabe unserer Zeit überhaupt. Darum sprießen ja überhaupt so viele grüne Konzepte aus dem Boden! Selbst Avatar gibt davon ein eigentlich erfreuliches Zeichen: das grüne Mem hat Hollywood erreicht (mit viel rot, blau und orange reingemischt).

Und auch das ist eine Grunderkenntnis der Spiral Dynamics: man kann Meme nicht überspringen. Ein oranges Unternehmen kann nicht integral werden! Weil das Unternehmen und seine Individuen erst mal grün werden müssen. Und das heißt Drop-outs, Weltreisen, Schwitzhüttenseminare, gewaltfreies Kommunizieren, Aufopferung für die Gemeinschaft und die Erde, Festivals, die die Gemeinschaft feiern und dabei helfen, in direkte Beziehung mit der Gruppe zu kommen. Erst wenn man da durch ist, kann sich das integrale Mem entwickeln, dann sind die meisten orangen Unternehmen aber schon auf aufgelöst oder pleite und neue müssen entwickelt werden.

Wie kommt es aber jetzt zu dem Missverständnis zwischen gelb und grün?

Mehrere Gründe sehe ich dafür:

Der eine ist schon genannt: die Verwechslung zwischen integrativ und integral. Gleicher Wortstamm, völlig unterschiedliche Bedeutung!

Zweitens: niemand kann so recht integrale Konzepte vorweisen: sie emergieren gerade erst. Wir haben erste Anzeichen davon, aber wir müssen noch eine Menge experimentieren. Nach Aussagen integraler Theoretiker selbst ist erst ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung im integralen Mem angekommen. Mangels wirklich klar definierter integraler Konzepte verweisen wir auf die Konzepte, die den orangen Mainstream schon überwunden haben und gut entwickelt sind und landen erstmal bei den grünen Konzepten. Vielleicht geht das noch nichtmal wirklich: ein integrales Konzept. Vielmehr müsste integrales Denken und Handeln zwischen verschieden-memigen Konzepten changieren und gestaltenwandlerisch agieren!

Drittens: eine Reihe renommierter und weniger renommierter Denker sowie spiritueller Lehrer nutzen die Hierarchie der Meme, um sich an die vermeintliche Spitze der menschlichen Entwicklung zu setzen und definieren die oberen Meme nach Gutdünken, aber ohne tatsächliche Studien an entsprechenden Subjekten. Das führt dazu, dass das Weltverständnis des Gurus oder Vordenkers immer dem höchsten Mem – also einem integralen Mem – entspricht.

Ich selbst habe noch keinen getroffen, der ehrlich behauptet hätte: ich bin ein Guru oder Philosoph des grünen Mems, damit würden sie sich ja gegenüber den integralen Denkern degradieren. Ein schönes Beispiel hierfür ist Ken Wilber. Ich schätze diesen Mann wirklich außerordentlich. Ich würde sofort eingestehen, dass er ein Genie ist und eine einzigartige Arbeit macht. Auch hat er sicherlich das grüne Mem überwunden. Aber wenn ich mir seine Weiterentwicklung der Spirale anschaue muss ich unvermittelt schmunzeln. Ganz oben im Third-tier (eine Wilber-Erfindung), drei Stufen über dem grünen Mem, thront bei ihm das Indigo-mem: das „unitive self“, das als ironisch-vereinend und als kosmozentrisch globaler Geist beschrieben wird.

Wow! I am blasted! Ich kenne nur einen, den ich tatsächlich hier einordnen würde: Ken Wilber! Er hat dieses Mem ja selbst spekulativ entwickelt (nicht durch Studien wie Graves), und selbstverständlich ist es eine Beschreibung seiner Selbst. Auch die Andeutung, dass es möglicherweise noch ein violettes, ein ultraviolettes und ein weißes Mem geben könnte, wiegt die Hybris mit Demut nicht mehr auf. Abgesehen davon, dass hier wohl der systemische Spektralschematismus mit ihm durchgegangen ist.

Schauen wir uns dagegen die Beschreibungen des grünen, gelben und türkisen Mems bei Wilber an, dann kommt es mir (im Unterschied zu der Beschreibung von Beck) so vor, als wurde das grüne Mem aufgebohrt und in drei neue Teile verpackt. Das sensitive, integrale und holistische Selbst wie hier beschrieben sind alles Aspekte des grünen Mems in der ursprünglichen Fassung von Beck.

Es ist einfach, an das Ende einer solchen Folge ein irgendwie erleuchtetes Selbst zu setzen, das die eigenen Charakterzüge widerspiegelt. Gleichzeitig ist es allerdings auch ein bischen plump. Ich würde vorschlagen: bleiben wir doch in der ursprünglichen Logik und dem auf Studien basierendem Model von Graves und Beck.

So da habt ihrs: das grüne Meme wird der neue Mainstream und es ist toll, und es ist wichtig, dass möglichst viele von uns an dieser Entwicklung mitwirken. Dabei zu entspannen und immer wieder nach den emergenten Mustern des integralen Ausschau zu halten, sollten wir alle leisten.

Aber wie bei allen Memen zuvor findet der Sprung in das nächste Mem nur durch eine tiefe Auseinandersetzung – oft auch Traumatisierung – mit dem Mem statt, in dem man verwurzelt ist. Beim grünen Mem ist das der Burnout an der unendlichen Verantwortung, die jeder übernimmt, der die Welt und alle Systeme und Gemeinschaften darin retten möchte und dabei zwangsläufig unter die Räder kommen muss. Mühselige Konsensentscheidungen, Verzichtsansprüche und so weiter. Wer durch diese Hölle ist, merkt, dass auch die Logiken des blauen und orangen, des roten und braunen Mems wichtige Funktionen haben. Er oder sie nimmt wieder mehr Rücksicht auf sich selbst und sucht mit Gelassenheit, Ironie und Selbstreflektion zwischen den Absurditäten der unterschiedlichen Logiken zu segeln.

Das nun ist selbstverständlich eine Selbstbeschreibung meinerseits, mit der ich mich an die Spitze aller Meme setze: ich definiere es als das bunt-schillernde Mem. Und ich bin sein erleuchteter Meister.