Lena: Authentizität gewinnt

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Dreimal habe ich den Grand Prix gesehen, damals als Nicole mit “Ein bischen Frieden” gewann, dann als Guildo Horn seine Klamaukshow abzog und – eigentlich mehr aus Zufall – an diesem Wochende. Der Grand Prix d’Eurovision ist mit Sicherheit eine der skurilsten Veranstaltungen, die man sich vorstellen kann. Nicht nur die dröge und uninspirierte Moderation von Peter Urban befremdet, weil man nie weiß, ob er die ganze Veranstaltung mit Ironie oder frustriertem Ernst verfolgt – auch die durch die Bank weg plumpen Darbietungen sind kaum zu glauben. Was wird hier eigentlich bewertet? Die simpelste Unterhaltung? Die Intelligenz des Publikums? Die beste Show? Ist der Songcontest nicht einfach nur riesige Selbstironie?

Und dann die ganze Bewertung bei der Estland genau so viele Stimmen wie z.B. das Vereinte Königreich vergibt! Oder die europäischen Schrullen: Viele Länder wählen bevorzugt ihre Nachbarländer und die Franzosen sind die einzigen, die ihre Bwertung auf Französiche abgeben, während sich viele andere höflich krampfhaft um ein paar Sätze Norwegisch bemühen. Worum gehts es eigentlich bei diesem “Contest”, der offensichtlich die weltweit größten Einschaltquoten besitzt?

Festhalten lässt sich auf jeden Fall: beim Eurovison Song Contest werden im Stakkato mittelmäßige Pop – und Volksliedinterpreten auf die Bühne gelassen, die Stücke vortragen, die von einer mittlerweile bis zur Farblosigkeit perfektionierten Entertainmentindustrie ausgearbeitet werden.

Diesmal gab es mit Lena eine Ausnahme. Und das war die Sensation. Eine junge unverbrauchte und glaubwürdig authentische Frau betritt die Bühne und erobert die Herzen vieler Europäer im Sturm. Auch ich habe die Stimmauszählung fasziniert verfolgt.

Was für mich eine Erleichterung an Lenas Sieg war, war die Erkenntnis, dass sich Authentizität am Ende doch durchsetzt und vor allem: erkannt und honoriert wird! Alle anderen Acts waren hochgepushte Darsteller einer professionellen Musikindustrie. Wäre Lena nicht aufgetreten, wäre die Wahl auf eine der durchgestylten und am musikalischen Reißbrett entstandenen Darbietungen gefallen. Und was hat sich die Industrie ins Zeug gelegt: mit halben Theaterinszenierungen, Schmetterlingsflügeln, tiefen Dekolletes und Windmaschienen.

Lena dagegen war einfach nur Lena. Schlicht in einem einfachen Kleid, das nichts von ihrer Natürlichkeit nahm, mit einem Auftritt, der nichts hinzufügen wollte. Die für mich schöne und für die Musikindustrie hoffentlich erschreckende Erkenntniss: bei aller Professionalität der Darbietungen, bei aller geschickten Manipulation des Konsumentengeschmacks: echte Authentizität lässt sich nicht produzieren, man hat sie oder man hat sie nicht. Und wenn man sie hat, setzt sie sich gegen jede proffessionelle Illusion durch. Das ist eine hoffnungsfrohe Erkenntnis!

Lena hat diese Authentizität, nach der alle anderen gieren, und es wäre zu wünschen bei dem Wahnsinnshype, der nun veranstaltet wird, dass sie sich genau das bewahren kann. Schon Marius Müller-Westernhagen hatte auf die Gefahr hingewiesen. Und nicht zu Unrecht: schon jetzt läuft soviel Lena im Fernsehen, dass man beginnt nicht mehr zu wissen was echt und was nicht echt ist.

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