Theorie APIs

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Eine der Hauptaufgaben in der theoretischen Arbeit ist das Übersetzen von Begriffen einer Theorie in die Begriffe anderer Theorien. Das ist natürlich höchst problematisch. Viele Theoretiker sagen, teilweise zu Recht, dass sich der inhärente Wahrheitsgehalt einer Theorie nur in der jeweiligen Fachsprache ausdrücken lässt, da nur so sichergestellt werden kann, dass jeder Begriff in Bezug auf die gesamte Theorie eindeutig definiert und in die Bedeutungskontexte eingebunden worden ist.

 

Das Verstehen neuer Theorien sowie der Vergleich verschiedener Theorien funktioniert allerdings oft nur dann, wenn begriffliche Transferleistungen vollbracht werden. Dabei geht zwar ein Teil der definierten Bedeutungsschärfe verloren, aber gerade der Vergleich ermöglicht auch einen Verstehensgewinn und damit einen Zugang zu neuen Theorien.

Ein ganz einfaches und naives Beispiel: ich habe als atheistisch aufgewachsener 14-jähriger erst Zugang zur Bibel gefunden, nachdem ich, mehr aus Jux und Dollerei, die Begriffe “Gott” mit “Natur” und “Furcht” mit “Ehrfurcht” übersetzt hatte. Natürlich meint die “Ehrfurcht vor der Natur” nicht dasselbe wie “Furcht vor Gott”. Trotzdem war es mir nur so möglich, eine vage Vorstellung von dem Erfahrungsraum zu erhalten, der mit “Furcht vor Gott” zum Ausdruck gebracht wurde. Ich hatte mir eine begriffliche Schnittstelle gebaut, mit der sich mein eigenes Verstehen annähernd in das Verständnis der Bibel übertragen ließ. Durch diesen ersten Zugang konnte ich mir nun eine klarere, und theologisch eindeutigere Vorstellung davon machen, was “Furcht vor Gott” zum Ausdruck bringen könnte.

Ich glaube, dass es eine wichtige Aufgabe ist solche theoretischen Schnittstellen anzubieten. Theorie- und Welterklärungsangebte explodieren in erschreckendem Ausmaß. Entweder treten diese Angebote in einen hegemonialen Wettstreit, bei dem es darum geht die Überlegenheit zu demonstrieren und sich durchzusetzen (und das verbindet sich meistens mit einem Anspruch auf “realere Realitätsbeschreibung”)  oder sie finden Wege der Übersetzung, um in ihrer Diversität nebeneinanderstehen zu können und trotzdem intertheoretische Bedeutung und Zusammenarbeit erzeugen zu können. Wenn wir weiterhin verstehen wollen, was andere reden und denken ohne ihnen unsere theoretische Terminologie aufzudrängen oder uns ihre aufdrängen zu lassen, benötigen wir Übersetzungen und Angebote, um uns in die jeweiligen lebensweltlichen Erfahrungsräume, die durch diese Theorien zur Sprache finden, einzuklinken.

Solche Schnittstellen können z.B. die Form semantischer Wolken annehmen, in denen Begriffe verschiedener Theorien in räumlicher Beziehung zueinander dargestellt werden, die relativ ähnliche Sachverhalte und Bedeutungen zum Ausdruck bringen möchten.