Regressive Obszönität: die neue Frankfurter Altstadt

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Mit dem Aufstieg der AfD und den Identitären, mit den nationalidentitären Ideologien eines Steve Bannons und dem neuen Bedürfnis nach Heimat (Stichwort Heimatministerium) wird auch ein neuer städtebaulicher Trend immer beliebter: die historische Rekonstruktion. Dresden, Berlin (Humbold Forum), Potsdam und neuerdings Frankfurt geben diesem Trend Raum (und finanzielle Mittel). Auch in anderen Städten wird die historisierende Rekonstruktion gefordert. Das Narrativ dazu ist stark und attraktiv: wir sollen uns wieder auf unsere Wurzeln und die Vergangenheit besinnen, als die Welt noch geordnet und überschaubar war und wir uns eindeutiger Identität gewiss sein konnten. Deutsch sein soll nach diesem Narrativ eben auch im 21. Jahrhundert noch heißen: Fachwerk, spätes Mitttelalter, Butzenscheiben, Biergärten, Gemütlichkeit und kleine romantische Handwerkerläden; den Wald am besten gleich vor den Toren der Stadt. Diese Sehnsucht nach der klaren Bestimmung war in der Neuzeit schon immer da und ist nie ausgestorben. Selbst in der DDR gab es ein Bedürfnis danach. In schöner Betonplattenbauweise wurde im Planraster das Nikolaiviertel in Berlin rekonstruiert.

Die „neue Frankfurter Altstadt“ (fast schon eine dialektische Wortkonstruktion) konnte ich gestern zum ersten Mal besuchen, auch mit der Intention, meine Irritation mit dem Konzept der historisierenden Rekonstruktion aufzulösen und vielleicht etwas Neues zu lernen und meinen Horizont zu erweitern. Ich bin durchaus mit der Offenheit dorthin gefahren mich überzeugen zu lassen. Schließlich habe ich als Jugendlicher an Reenactment-Veranstaltungen teilgenommen und weiß als gelernter Lautenbauer sehr wohl gutes Handwerk und die Faszination der Rekonstruktion aus Geschichtsinteresse zu schätzen.

Dementsprechend kann ich sofort und ohne jegliche Einschränkung sagen: was in der neuen Frankfurter Altstadt gebaut wurde, ist eine faszinierende Darstellung handwerklichen Könnens. Ein Können von dem ich froh bin, dass es noch praktiziert wird und dass es  – auch durch solche Projekte – nicht gänzlich ausstirbt. Ich kann auch ohne Einschränkung anerkennen, dass das architektonische Konzept aus fachlicher Sicht seinen Reiz hat. Denn hier ist keine 1zu1- Rekonstruktion versucht worden, sondern durchaus eine zeitgenössische Interpretation gewagt wurde, die Stilgenauigkeit, altes Handwerk und moderne Bauweise zueinander in Beziehung zu setzen sucht. Somit wird durchaus deutlich gemacht, dass man es hier mit neuen Gebäuden, gebaut nach neuen Standards zu tun hat.

Damit hat es sich allerdings auch mit meiner Anerkennung. Die Atmosphäre des Viertels wirkt auf mich tot, steril, inauthentisch und nachgestellt. Wie ein Foto, dass situativ wirken soll aber doch mit zu viel Penibilität konstruiert wurde – irgendwie gefotoshoped. Die Steine sind glatt, dass Kopfsteinpflaster barrierefrei, die Sandsteine mit der Flex präzise geschnitten. Es gibt wenig lebendige Ungenauigkeit, organische Gewachsenes, keine Improvisation, (noch) keine Patina. Man merkt den Entwurf aus einem Guss. Wurde in mittelalterlichen Städten die Häuser nach und nach gebaut, abgerissen, Lücken neu gefüllt, sieht man der neuen Altstadt die totale gleichzeitige Konstruiertheit. Dort wo früher die Details den Umständen geschuldet waren, sind sie heute mühsam in 3D geplant. Dadurch wirkt das Viertel im Gesamteindruck eben alles andere als echt, heimatlich, gewachsen oder belebt, sondern tatsächlich wie ein Spiegel des eigenen Klischees und wie der so oft bemühte Themenpark: ein besonders teurer, edler und öffentlicher Themenpark aber nichts desto trotz Fassade, Fake: verlogen, unehrlich, pretentiös, geschmäcklerlisch.

Was mich emotional besonders verärgert ist die subtile Manipulation hin zu einem regressiven und reaktionären Verständnis von Geschichte, denen solche Bauten Tür und Tor öffnen.

Denn selbstverständlich ist das ganze Viertel nicht historisch, sondern historisierend und dabei zu einem höchst ärgerlichem Grade geschichtsvergessen und geschichtsverfälschend. Hier wird eben keine Altstadt gebaut, sondern eine Neustadt, die so tut als ob. Und dieses Als-ob wird dann gefährlich, wenn Menschen es als Wahrheit missinterpretieren. Das Kopfsteinpflaster war damals eben nicht barrierefrei geschliffen und mit Laser verlegt, sondern grob und polterig. Es gab auch keine Kanalisation oder elektrische Beleuchtung, sondern Fäkalien in der Straße, Dunkelheit und Gestank. Morgens kam keine emsiges Stadtreinigungskollonne mit elektrischen Putzbuggies. Auch lebten nicht die Reichsten der Stadt in den Häusern, sondern die Handwerker und Händler, die hier auch arbeiteten und ihre Geschäfte hatten. Und zu guter Letzt lebten diese Menschen nicht in einer weltoffenen toleranten Demokratie, sondern in einer engen, von Ressentiments und Vorurteilen durchsetzen autoritären Klassengesellschaft. Die Romantik, die mit der auf Hochglanz polierten neuen Altstadt vorgegaukelt werden soll, die heile Welt des reinen Deutschen, die hat es so nie gegeben. Jede Darstellung und Idealisierung einer solchen Vergangenheit ist daher extrem irritierend, verstörend, zutiefst ahistorisch und muss daher einer politisch aufgeschlossenen Erinnerungskultur und einem kritischen historischen Blick ein Dorn im Auge sein.

Ich kann durchaus das Bedürfnis nach Kleinteiligkeit, Gemütlichkeit, nach Schutzräumen verstehen. Auch die neue Lust am Verspielten, am Ornament, an der Zierde finde ich nicht verwerflich. Ich kann nicht nur nachvollziehen, sondern unterstütze es, dass es Räume gibt, die familiär, kuschelig, gemütlich und frei von Überforderung, Abstraktion und Kälte sein sollen. Ich kann sogar das Bedürfnis nach etwas Heimatlichem nachvollziehen, wenn damit gemeint ist: Familiarität und das Wiedererkennung von Dingen, Haltungen und Atmosphären, die uns in unserer Kindheit positiv geprägt haben und uns und unseren zerbrüchlichen und diversen Identitäten Halt geben.

Aber warum muss das verbunden sein mit einem ebenso historisch falschem wie klischeehaften Bild eines idealisierten Spätmittelalters oder einer romantisierten Kaiserzeit? Welche märchenhaften Meme triggern da unser Unterbewusstes und lassen uns in eine infantil verzückte Regression der Wahrnehmung und des Geistes zurückfallen, in der wir auf den mythischen Zustand eines 4 bis 6 Jähirgen zurück geworfen werden, in ein Traumland von Junkern, Spießbürgern, ehrlichen Kaufleuten und Pickelhauben?

Die architektonische Moderne mit ihren glatten Oberflächen, geometrischen Formen und kalten Materialien als Ausdruck von Effizienz und rationalem Kalkül muss nicht jedermanns Sache sein. Dass die Postmoderne uns die oben beschriebenen und berechtigten Bedürfnisse nicht befriedigt: geschenkt! Dysfunktionale Fassaden, die alles ironisch brechen und uns verstört, verunsichert, beleidigt oder orientierungslos zurück lassen, sind als Ausdruck von Kunst und Zeitgeist möglicherweise aufregend, als dauerhaftes Lebensumfeld dagegen nicht.

Aber warum können Architekten und Stadtplaner nicht zeitgenössische Formen schaffen, in denen wir uns wohlfühlen, die Schutz bieten, die Geschichten erzählen, die unseren Bedürfnissen nach Harmonie, Proportion, einfacher Schönheit und behaglichem Wohlbefinden befriedigen ohne uns komplett zu verblöden? Ja, ich weiß, dass das für Architekturstudierende eine extrem uncoole Vorstellung ist, aber habt doch mal den Mut das auszuprobieren! Oder wollen wir als die Generation in die Geschichtsbücher eingehen, die nicht in der Lage war einen eigenen zeitgenössischen Stil zu entwickeln, sondern sich in gleichzeitigen lächerlichen wie überheblichen Versuchen verausgabt hat, alte Vergangenheiten, die es als solche nie gegeben hat, herbei zu fantasieren?

Mein Fazit nach dem ich mich hoffentlich abgeregt haben werde: Ich hoffe, dass dieser Trend historisierender Rekonstruktion schnell vorüber geht, bevor noch mehr von diesem Unfug gebaut wird. In spätestens 20 Jahren werden unsere Kinder und Enkel eh mit dem Kopf schütteln und das als Geschmacksverirrung der Zehner Jahre abtun.

Die neue Frankfurter Altstadt – das kann man jetzt schon feststellen – wird aber vor allem ein Versprechen nicht einlösen, um das es den Protagonisten eigentlich ging: das hier ein authentischer, natürlich gewachsener, lebendiger Stadtteil entsteht, in dem Menschen leben, einkaufen, arbeiten und Geschichte hautnah erleben können. Statt dessen wird die neue Altstadt auch atmosphärisch das zum Ausdruck bringen, was es ist: eine schöne Fassade, Blendwerk für Touristen, ein schöner Schein, der aber auf Grund seiner Geplantheit, Perfektheit und künstlichen Konstruiertheit eher abweisend als einladend wirkt. Die ambitionierten Geschäfte werden der Reihe nach aufgeben müssen und günstigen Toruistenshops und Verpflegungsstationen weichen. Statt heimischer Flaneure werden geführte Gruppen die Straßen bevölkern, statt deutsch wird englisch, japanisch und chinesisch gesprochen werden. Das heimliche politische Programm hinter der Rekonstruktion führt sich damit – zum Glück – ad absurdum! Im Grunde muss man dem Projekt sogar danken, wird doch deutlich, dass sich Identität, Authentizität und Heimatlichkeit eben nicht rekonstruieren lassen, sondern sich nur aus dem gelebten Neuen entwickeln können.