Adorno in Oxford

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5. Die Husserlarbeit. Zwischen Oxford und Amerika.

Es ist nicht möglich im Rahmen dieser Arbeit den theoretischen Hintergrund Adornos Husserlanalyse aufzuarbeiten. Ich möchte daher darauf eingehen, welche Bedeutung die Beschäftigung mit Husserl für Adorno im Oxforder Kontext seinen eigenen Aussagen zufolge hatte und wie er gleichfalls diese Arbeit in die theoretischen Bemühungen des Instituts für Sozialforschung eingebunden sah. Damit klammert die Arbeit zum einen eine Auseinandersetzung mit den theoretischen Strömungen Oxfords ein, in denen sich Adorno seinen eigenen Angaben zufolge isoliert fühlte, zum anderen seine eigenen theoretischen Bestrebungen im Einklang mit dem Institut für Sozialforschung. Dort hatte diese Arbeit Adorno zufolge im Zusammenhang mit dem logischen Positivismus Bedeutung, dessen theoretische Widerlegung ein zentrales Anliegen der Mitarbeiter am Institut war. Adorno hatte sich schon vorher mit Husserl beschäftigt. Als er sich nun am Merton College als „advanced student“ einschrieb, beschloss er zusammen mit Prof. Joachim seine Arbeit über Husserls Phänomenologie anzufertigen. Nach Harrison war das Training für den D.phil. informell (Harrison, 1994, S.89). D.h., dass die Arbeit selbstständig organisiert wurde und es keine zu besuchenden Veranstaltungen gab. Statt dessen fanden regelmäßige Treffen mit einem Supervisor statt, der, ähnlich wie die Tutoren für „undergraduates“ in intensiven Zweiergesprächen Hilfestellung, Anregung und Kritik geben sollte. Adorno bekam als Supervisor Gilbert Ryle zugeteilt. Gilbert Ryle war damals Tutor am angesehenen Christ Church College. Auch wenn Ryle später vor allem durch seine sprachanalytische Untersuchung über den Geist bekannt wurde, hatte er sich mit Husserl, Heidegger und der Phänomenologie auseinandergesetzt und war damit wahrscheinlich der fachlich versierteste Supervisor, den man für Adorno finden konnte. So hatte Ryle bis dahin unter anderen folgende Aufsätze veröffentlicht: Phenomenology 1932 und Heidegger’s Sein und Zeit 1928 (in: Ryle, 1971). Kramer und Wilcock beschreiben in ihrem Aufsatz ausführlich Ryles Arbeiten und Erfahrungen im Zusammenhang mit Husserl und der Phänomenologie (Kramer und Wilcock, 1999). Es mag noch einen weiteren Grund geben, warum sich Adorno mit Husserl beschäftigen wollte. Für ihn nahm Husserl eine zentrale Stellung in der kontinentalen Philosophie ein. Der frühe Husserl hatte an ähnlichen Fragen wie Frege, dem Vorläufer der analytischen Sprachphilosophie und modernen Logik gearbeitet. In seinen ersten Schriften wie der Philosophie der Arithmetik 1891, war Husserl noch vom Psychologismus geprägt, also dem Versuch Logik, Mathematik und Arithmetik durch psychologische Strukturen zu erklären (Honderich, 1995, Husserl). Diese Strömung argumentierte z.B., dass viele der mathematischen Schritte, die nicht klar beweisbar seien, trotzdem intuitiv verständlich wären und daher keines weiteren Beweises bedürften. Logik sei demzufolge ein normatives Erzeugnis psychischer Vorgänge und nicht ein Naturgesetz der Psyche. Später wand Husserl sich jedoch davon ab und versuchte ebenso wie Frege, der ihn in dieser Hinsicht kritisiert hatte, die Mathematik und Arithmetik auf Grund logischer Strukturen zu erklären und damit den Psychologismus zu verwerfen. Trotzdem gelangte Husserl nicht wie Frege zu einem Logizismus, der versuchte zu eindeutig objektiven Aussagen durch die ausschließlich logische Analyse von Aussagen zu gelangen – eine Sicht, die, in verschiedenen Interpretationen von Wittgenstein, Russel und dem Wiener Kreis um Schlick, Carnap und Neurath weiterentwickelt wurde. Er versuchte vielmehr mit der Phänomenologie eine philosophisch exakte Wissenschaft zu konzipieren die auf apriorischer Erfahrung basierte. Damit kam er aber wieder psychologischen Erklärungsmustern nahe, denn er musste Bewusstsein und die Objekte des Bewusstseins in Zusammenhang bringen. A.J. Ayer, der ebenfalls eine sprachphilosophische Karriere in Oxford und London durchlief, schrieb daher 1982 über Husserls spätere Arbeiten: „What seperated Husserl from Moore was the belief which grew on Husserl after the publication of his Logical Investigations that entities of every sort are not only hospitable to consciousness but constituted by it. In the Ideas for a Pure Phenomenology, which appeared in 1913, the Cartesian Meditations, which appeared in 1931, as well as in various other works (…), there is an increasing trend towards idealism. Moreover, the emphasis on Descartes’s Cogito makes it a subjective idealism. Solipsism is not espoused, but one is made to wonder how it can be avoided.” (Ayer, 1984, S. 215). Es ist bemerkenswert, dass Husserl, zusammen mit Heidegger, auch heute noch in den englischsprachigen philosophischen Lehrbüchern als Aushängeschild kontinentaler Philosophie besonders hervorgehoben wird. (So bei Ayer: Philosophy in the Twentieth Century (Ayer, 1984); Kenny: Illustrierte Geschichte der westlichen Philosophie (Kenny, 1995) und Grayling: Philosophy 2 (Grayling, 1998)). Auch in sprachanalytischen und logischen Werken der anglophonen Tradition wird die Phänomenologie aufgegriffen, wie beispielsweise bei Ayer: Die Hauptfragen der Philosophie (Ayer, 1976) oder Ryle: Der Begriff des Geistes (Ryle, 1969), beides Philosophen, die gleichzeitig mit Adorno in Oxford lebten. Auf der anderen Seite war Husserl der Lehrer von Heidegger und beeinflusste Maurice Merleau-Ponty und Sartre. Dies bestätigt Adornos Vermutung, dass Husserl einerseits eine Schlüsselposition in Bezug auf eine Kritik am logischen Positivismus zukam und andererseits in Bezug auf das Verständnis einer bürgerlichen Philosophie wie z.B. der Heideggers wichtig war. Adorno schrieb an Horkheimer am 7.8.1937: „und lassen Sie mich weiter Sie daran erinnern, daß Husserl, mag Heidegger so faschistisch sein wie er nur will, selber schon zu den Gründern der deutschen Vaterlandspartei gehörte.“, eine übrigens unbewiesene Annahme Adornos (Horkheimer, 1995b). So entstand bei Adorno das Projekt, Husserls Philosophie als fortschrittlichste bürgerliche Philosophie gegen den Positivismus zu wenden und dabei gleichzeitig sowohl den bürgerlichen Idealismus als auch die Verabsolutierung der Logik in Husserls Theorie „durchzudialektisieren“ und anhand ihrer eigenen Widersprüche immanent zu sprengen. Adorno schrieb dazu am 24.11.1934, als er Horkheimer sein Projekt vorstellte: „(…) eines der interessantesten Resultate meiner bisherigen, sehr anstrengenden Arbeit scheint mir zu sein, daß sich ergibt, daß Husserls Kampf gegen den Psychologismus, soweit er berechtigt ist, allemal objektiv gleichsinnig ist einem Kampf gegen schlechte d.h. rationalistische Psychologie und darüber hinaus der psychologischen Eliminierung der gesellschaftlichen Objektivität – aber falsch und reaktionär wird in der Verabsolutierung der Logik, die sich immanent-logisch nicht durchhalten lässt. Aber das sind erst Teile, in der Tat wird die ganze Phänomenologie, als die, wie mir scheint, immer noch fortgeschrittenste bürgerliche Erkenntnislehre, aufgerollt und das ganze soll eine Art kritisch-dialektisches Vorspiel einer materialistischen Logik abgeben, womit die Arbeit ja in engsten Zusammenhang mit Ihrer eigenen tritt.“ (Horkheimer, 1995a). Doch warum bestand dafür Adornos Meinung nach Bedarf? Die Philosophie in Oxford war in den 30er Jahren geprägt vom logischen Positivismus und der analytischen Philosophie. Kramer und Wilcock schreiben dazu: „Der Logische Positivismus des Wiener Kreises sowie der sog. Realismus der englischen Denker Bertrand Russel und G.E. Moore machte auf viele junge Oxforder Philosophen aus der Generation Ryles einen tiefen Eindruck, nicht zuletzt deshalb, weil diese das Programm einer exakten, widerspruchsfreien, nichtmetaphysischen und antiidealistischen Erkenntnistheorie verfolgten. Ryle schreibt: „after all we never met anyone engaged in committing any metaphysics“ (…) Darüber hinaus orientierte sich die Oxforder Philosophie in den 20er und 30er Jahren aufgrund ihres stark aristotelischen Erbes mehr zur logischen Sprachanalyse hin; dieser Trend fand in Alfred Ayers Buch Language, Truth and Logic (1936) ihren Ausdruck.” (Kramer und Wilcock, 1999, S.136). Für die Mitarbeiter des Instituts galt es sich gegen diese starken philosophischen Strömungen zu behaupten. Ihr sich erst entwickelndes Programm einer dialektischen oder materialistischen Logik, stand den Positivisten in vielem entgegen. In den 30ern wurden in der Zeitschrift für Sozialforschung einige Kritiken und Polemiken gegen die Positivisten gedruckt, die in deren Zeitschrift Erkenntnis oft Erwiderungen provozierten. Darunter z.B. Horkheimers eigener Aufsatz Der neueste Angriff auf die Metaphysik, (in: ZfS VI, 1937, S.4ff.) der im Adorno – Horkheimer Briefwechsel der Positivismusaufsatz genannt wird. Ein Passus aus einem Brief vom 8.12.1936 von Horkheimer an Adorno gibt die Kritik am Positivismus knapp wieder. Dabei wird geleugnet, dass der Positivismus neutral einer objektiven Wissenschaft diene. Vielmehr sei er gerade dadurch an die gesellschaftliche Realität gebunden: „Die angebliche Strenge und Exaktheit des Denkens, für die jene Herren Propaganda machen, erweist sich im Grunde als dieselbe Objektivität, die bei Konflikten sowohl den Arbeitern wie den Unternehmern gerecht wird und die, im Bewußtsein, daß es schon heroisch ist, nicht auch offen zu den Angreifern zu halten, in dem gleichen Augenblick die Neutralität wieder mit heiligen Schwüren bekundet, wo die Betroffenen neutralen Ursprungs vollends zugrunde gehen. (…) Die Identifizierung dieses abstrakten Moments einer Exaktheit, die sich bei näherem Zusehen als ihr Gegenteil erweist, mit dem Begriff der Wahrheit überhaupt ist nur die Verklärung des Stillschweigens dieser letzten Liberalen, mit dem sie das Grauen, das durch ihre totalitären Nachfolger über die Welt gekommen ist, sanktionieren und weiter ausbreiten helfen. Diese gegenwärtige Philosophie treibt Mathematik, der Rest ist Schweigen. (…) Sie stellt (…) einen Teil des kulturellen Apparats dar, dessen Funktion es ist, die Menschheit stumm zu machen.“ (Horkheimer, 1995a). Dieses Motiv des Stummmachens greift Adorno auf, wenn er am 25.1.1937 an Horkheimer schreibt: „ (…) die Logistiker suchen die Sprache in die Logik zu übersetzen (= stumm zu machen). Ich möchte die Logik zum Sprechen bringen.“ (Horkheimer, 1995b). Wenn nun aber Adornos und Horkheimers Überlegungen sich so ähnlich waren, was führte dann zu den Uneinigkeiten und dem Nichterscheinen eines von Adorno angefertigten Aufsatzes über Husserl für die Zeitschrift für Sozialforschung?

Die Umstände lassen sich gut am Briefwechsel zwischen Horkheimer und Adorno ablesen. Die beiden hatten in ihren Briefen schon länger sowohl über Adornos Husserlprojekt in Oxford korrespondiert, als auch ihre Gedanken zum Positivismus und Logizismus ausgetauscht. Die erste Arbeit, die zu diesem Themenkomplex im engeren Sinne publiziert und von beiden im Briefwechsel diskutiert wurde, war der schon oben erwähnte Aufsatz von Horkheimer, den die beiden den Positivismusaufsatz nannten. Adorno erhielt die Fahnen dafür im März 1937 und schrieb am 23.3.1937 an Horkheimer: „mit der größten Freude und der vollsten Zustimmung habe ich ihren großen Positivismusaufsatz gelesen. (…) Ich kenne (…) kaum eine andere (Arbeit – JR) von Ihnen, die ich so bedingungslos unterschreiben könnte wie diese.“ (Horkheimer, 1995b). Adorno habe nur einen einzigen Einwand. Horkheimer hatte geschrieben, dass es unmöglich sei, den logischen Positivismus immanent zu überwinden, doch gerade das war ja Teil des Programms von Adornos Husserlarbeit in Oxford. Adorno argumentiert, dass man mit dieser Aussage gefährliche Zugeständnisse machen würde und tatsächlich erklärte sich Horkheimer bereit, den Passus zu streichen, nicht ohne anzukündigen, darüber noch einmal mit Adorno diskutieren zu wollen (Horkheimer an Adorno, 6.4.37, Horkheimer, 1995b). Es scheint jedoch offensichtlich, dass Adorno auch seine eigene Arbeit im Blick hatte und fürchtete, dass Horkheimers Aufsatz die Intention seines eigenen Buches von vorneherein theoretisch verwerfen könne. In den folgenden Monaten arbeitete Adorno an seinem Aufsatz über Husserl (Zur Philosophie Husserls (Adorno, 1986)), der die wichtigen Thesen seines Buches vorwegnehmen sollte und schickte diesen an Horkheimer zur Durchsicht und Veröffentlichung in der Zeitschrift für Sozialforschung. Während Adorno gespannt auf eine Reaktion Horkheimers wartete, schrieb er einen weiteren erklärenden Briefe an diesen. In dem Aufsatz hatte Adorno die gesamte Arbeit und Anstrengung der Oxforder Zeit zentriert. Im Brief vom 7.8.1937 an Horkheimer, der schon den Husserlaufsatz besaß, aber noch nicht geantwortet hatte, sprach Adorno wie schon oft davor, von der Isolation unter der er in England hatte arbeiten müssen. Zum Aufsatz schrieb er: „Ich übertreibe nicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich niemals an irgendeiner Sache mit größerem Anteil gearbeitet habe: ich betrachte sie in allem Ernst als meine erste philosophische, will sagen als die erste, die ich einigermaßen verantworten kann.“ Sie stelle dar, wie Adorno sich vorstelle, die Logik zum Sprechen zu bringen und sei eine immanente Durchbrechung des Idealismus.“ (Horkheimer, 1995b). Schon vorher hatte Adorno verlauten lassen, der Aufsatz am Husserl sei das Höchstmaß dessen, was er im Augenblick leisten könne. (Adorno an Horkheimer, 28.2.1937, Horkheimer, 1995b). Um so schwerer musste Horkheimers Kritik Adorno belasten, als sie mit Horkheimers Brief vom 13.10.1937 kam. Horkheimer gestand dem Aufsatz eine ungeheure gedankliche Leistung zu, aber: „Die absolute Zustimmung kann ich (…) nur der zugrundeliegenden zerstörerisch, sprengenden Intention gewähren und nicht der Taktik ihrer Verwirklichung.“ Horkheimer kritisierte die Arbeit über mehrere Seiten im Detail und schrieb, er sehe keine Möglichkeit in Adornos Aufsatz den Streit immanent zu schlichten, noch, dass durch die Arbeit bewiesen wäre, dass der ganze Idealismus erledigt sei. (Horkheimer, 1995b). Adorno versuchte in den folgenden Briefen seinen Aufsatz zu verteidigen und Verbesserungen vorzuschlagen. Dabei sollten drei Punkte berücksichtigt werden: die Frage nach der Verständlichkeit – Horkheimer hatte Adorno vorgeworfen, er setze bei den Lesern zuviel Wissen der Husserlschen Theorie voraus, die er nicht weiter erläutere, des weiteren die Frage der immanenten Kritik, deren Durchführbarkeit Horkheimer bezweifelte und als letztes das weitere Vorgehen, in bezug auf die Veröffentlichung des Aufsatzes. (Adorno an Horkheimer, 23.10.37, Horkheimer, 1995b). Wie tief Adorno Horkheimers Kritik wirklich getroffen hatte, zeigte sich im Brief vom 28.10.1937 an Horkheimer. Hier vergleicht Adorno seine Arbeit mit einem Aufsatz von Marcuse (Zum Begriff des Wesens, in: ZfS V, 1936, S.1 ff). Adorno sah in seinem Aufsatz einen wesentlichen Fortschritt gegenüber Marcuses und sah nicht ein, dass dieser erschienen war und seine Husserlarbeit unter den Tisch fallen solle. (Horkheimer, 1995b).  Auch der Brief vom 28.1.1938 drückt dies aus. Hier wird auch die Frustration über das Nichterscheinen eines Aufsatzes über Karl Mannheim ausgedrückt: „Wegen des Mannheimkomplexes sprechen wir denn also in New York. Daß das abermalige und überraschende Nicht-Erscheinen der Arbeit mich ein wenig traurig macht, ist ja wohl nur menschlich, und nach dem Nicht-Erscheinen des Husserl gewiß zu begreifen. (…) Bitte fassen Sie dieses leise Winseln des verwundeten Rehs, das diesmal ich selber bin, nicht als Ausdruck der privaten Eitelkeit auf.“ (Horkheimer, 1995b). Kramer und Wilcock erklären Horkheimers scharfe Kritik am gesamten Husserlprojekt damit, dass Adorno Ende 1936 in Oxford Fuss gefasst habe und sich mit der dortigen Philosophie produktiv auseinandersetzte, ja dass dieser sogar philosophisches Vergnügen an seiner Existenz in Oxford empfand. Sie vermuten, dass Horkheimer Adorno mit dieser Kritik und seinen Anmerkungen über die Oxforder Atmosphäre an sich binden wollte, da er laut Wiggershaus wusste, dass er auf Adorno als Mitautor an einem Buch über dialektische Logik angewiesen war (Kramer und Wilcock, 1999, S.152). Dies scheint mir jedoch nach dem Gesagten nicht sehr wahrscheinlich. Adorno hatte jeglichen Einfluss einer Oxforder Athmosphäre von sich gewiesen (Adorno an Horkheimer, 28.2.37, Horkheimer, 1995b). Sicherlich mag es gerade in Bezug auf die immanente Kritik darum gegangen sein, welche Richtung das gemeinsame Projekt an einer dialektischen Logik einschlagen würde. Die wirklich scharfe Kritik am Husserlaufsatz kam jedoch erst nachdem Adorno in Amerika gewesen war. Dort hatte man, wie beschrieben, Adornos Mitarbeit am Institut und die Übersiedlung nach Amerika beschlossen, sodass es keinerlei Grund zu diesem späten Zeitpunkt gab, Adorno auf diese Weise an das Institut zu binden. Auch scheint mir Adornos selbstbewusstes Auftreten in Oxford Ende 1936 nicht ein Beweis für seine Etablierung und Zufriedenheit dort zu sein, die ihn vom Institut entfernt hätte, sondern mir scheint eher, dass gerade die Mitarbeit am Institut und die Aussicht auf ein Ende der Isolation mit der Weiterreise in die USA es waren, die zu Adornos souveränerem Auftreten in Oxford geführt hatten. Trotzdem scheint Horkheimers Kritik an Adornos Husserlprojekt übertrieben, bezöge sie sich nur aufs Inhaltliche. Sucht man nach einem weiteren Grund für Horkheimers Kritik, der über die theoretische Auseinandersetzung hinausgeht, dann liegt es näher zu vermuten, dass Adorno nicht nur als voller Mitarbeiter des Institutes, sondern auch mit der Veröffentlichung des Husserlaufsatzes und des geplanten Husserlbuches Horkheimer näher gerückt wäre, als es diesem lieb war. Adorno hätte schließlich eine wichtige große Arbeit im Themenbereich der ‚dialektischen Logik’ publiziert, bevor Horkheimer ihm hätte gleichziehen können und dadurch wären die ersten Verdienste in diesem Bereich Adorno zugefallen. Es mag daher sein, dass Horkheimer Adorno auf Distanz halten wollte, bis er, z.B. durch die Mitarbeit an einem gemeinsamen Projekt, ebenfalls eine zentrale Position um die dialektische Logik beziehen konnte. Diese Vermutungen wären aber nur durch eine intensive Analyse der Arbeiten Horkheimers, Adornos und der Briefwechsel zu ermitteln, die hier nicht unternommen werden kann.