Denkstube Nr. 3

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heute: Das 4-Säulen-Modell der Partizipation

Partizipation ist ein hohes Ziel und ein hoher Anspruch bei vielen verschiedenen Prozessen. Mit Partizipation ist vieles zu erreichen, entwickeln sich oft unvorhergesehene, neue Lösungsansätze. Partizipation schafft neue Bindungen und Beziehungen und hinterlässt oft hohe Übereinstimmungen bei den Akteuren. Die Legitimation, die aus Partizipationsverfahren hervorgeht ist außerordentlich hoch.

Partizipation ist aber auch oft ein schwieriges Unterfangen. Auf Partizipation werden sehr oft große Hoffnungen gelegt, die häufig enttäuscht werden. Im schlimmsten Fall kann Partizipation zu einer neuen Ideologie werden, in der alles verworfen wird, bei dem es keine Partizipation gab. Partizipation kann helfen, Legitimation zu erlangen, aber sie kann genau dafür auch missbraucht werden. So kann jeder Entscheidung die Legitimation genommen werden, bei der es keine Partizipation gab.

Das größte Missverständnis bei der Partizipation ist, anzunehmen, es gäbe so etwas wie keine Partizipation. Das ist schlechterdings nicht möglich. Solange etwas in der Welt ist, partizipiert es an der Welt. Ein "In der Welt Sein" egal ob von Mensch oder Ding, bei dem nicht – und sei es durch absolute Passivität – an der Welt partizipiert wird, ist nicht vorstellbar.

Das relativiert so einiges: wenn wir von Partizipation und Partizipationverfahren sprechen, dann geht es uns um eine konkrete Partizipation in einem bestimmten Kontext, die meist – aber nicht immer – ein konkretes Ziel besitzt. Wir müssen also die Art und Weise der Partizipation vorher definieren, um ein bestimmtes Partizipationsverfahren initiieren zu können und dies dann auch umzusetzen.

Eine solches konkretes Partizipationsverfahren geschieht nicht von selbst. Damit es funktionieren kann, bedarf es verschiedener Zutaten:

  • Partizipation muss einem aktiven Impuls aller Beteiligten entspringen. Niemand kann zur Partizipation gezwungen werden oder für die Beteiligung anderer verantwortlich gemacht werden. Auf eine Einladung zur Partizipation muss immer die aktive Einbringung folgen. Aber auch das Fernbleiben ist eine Antwort auf die Einladung und muss als besondere Form der Partizipation gewertet werden (s.u.).
  • Partizipation braucht einen klaren Rahmen, in dem die Partizipation stattfindet. Dieser Rahmen wird meist von entsprechenden Gremien oder Initiatoren der Partizipation gesetzt (die in der Regel durch die üblichen demokratischen und rechtlichen Bestimmungen dazu legitimiert sind oder sich selbst initiativ dazu legitimiert haben).
  • Partizipation kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Ich schlage zum Verständnis ein Säulenmodell der Partizipation vor. Die vier Säulen besitzen alle gleichermaßen ihre Berechtigung und Wichtigkeit.

Das 4 Säulen Modell der Partizipation:

  1. Nicht-tun-Partizipation: ist auch ein Form der Partizipation, nämlich die des vertrauensvollen Deligierens oder des unvertrauenden Protestes. Im ersten Fall steht die Haltung dahinter, dass nicht jeder alles selbst machen kann und man im Grunde froh ist, dass bestimmte Aufgaben von anderen übernommen werden, damit man seinen eigenen Aufgaben nachgehen kann. Im zweiten Fall wird durch das Fernbleiben ein Protest zum Ausdruck gebracht, der unterschiedliche Gründe haben kann, z.B. dass die Initiatoren als nicht legitim betrachtet werden, dass die Thematik richtungsbestimmend formuliert ist, dass die Handlungsspielräume als zu klein wargenommen werden, oder dass ein Instrumentalisierungsverdacht vorliegt. Für die Initiatoren ist es gut, den Grund eines Fernbleibens zu kennen. Solange jedoch die Entscheidung gegen eine Teilnahme aktiv und informiert geschieht, handelt es sich auch dabei um Partizipation.
  2. Grundsatzpartizipation: Man partizipiert an der Ausarbeitung grundsätzlicher politischer, ethischer etc. Grundsätze, die das weitere Handeln ausführender Menschen und Gremien leiten. Grundsatzpartizipation ist beim Start eines Projektes sehr wichtig, denn durch sie legitimiert sich das Projekt und es kann sichergestellt werden, dass alle Akteure ein gemeinsames Verständnis haben und am gleichen Strang ziehen. Bei der Grundsatzpartizipation ist es wichtig, den Mut zu Grenzziehungen zu zeigen. Dadurch werden zwar bestimmte Ideen und manchmal auch Menschen ausgeschlossen. Doch meist ist es wichtiger hier Klarheit zu schaffen, als Ambivalenzen zuzulassen und dann bei jeder konkreten Partizipation wieder die Grundsatzfragen aufrollen zu müssen. Auch diejenigen, die sich und ihre Ideen durch grundsätzliche Grenzziehungen ausgeschlossen fühlen, fahren langfristig besser. Statt immer wieder aussichtslose Grundsatzkämpfe anzetteln zu müssen, können sie sich neu orientieren und ihre Ideen in anderen Kontexten ungebremst verwirklichen. Bei der Grundsatzpartizipation sollte eine möglichst große Basis eingeladen werden.
  3. Konkrete Partizipation: für die konkrete konzeptionelle und praktische Arbeit ist es wichtig, zielorientiert auf bestehenden Grundsätzen arbeiten zu können. Wer hier partizipiert, dem geht es um die tatsächliche Umsetzung, der durch die Grundsätze beschriebenen Ziele. Bei der konkreten Partizipation ist ein aktives Engagement oft eine wichtige Voraussetzung. Für die konkrete Partizipation qualifizieren sich diejenigen, die selbst schon Zeit, Ressourcen und Ideen beigetragen haben oder dies mit Sicherheit tun werden. Die konkrete Partizipation muss vor Grundsatzfragen geschützt werden. Ebenso wichtig ist darauf zu achten, dass die konkrete Partizipation nicht als Wunschbox oder Kummerkasten an die Aktiven missbraucht wird. Ziel ist es Aufgaben zu definieren und zu verteilen und nicht die Verantwortlichen mit weiteren Ansprüchen und Erwartungen zu überfrachten. Um dies zu verhindern ist eine gute methodische Vorbereitung nötig.
  4. Selbst-tun-Partizipation: Niemand hat einen Monopolanspruch auf die Umsetzung irgendeiner Idee oder eines Projekte und Selbstlegitimation steht am Anfang jeder mutigen Idee. Wenn es auf Ebene der Grundsätze nicht zu harmonisierende Differenzen gibt, dann ist es meist besser den Weg der Vielfalt zu beschreiten und z.B. ein Parallelprojekt mit unterschiedlichen Grundsätzen aufzubauen. Geschieht dies kommunikativ, handelt es sich dabei keineswegs um Konkurrenz, sondern um eine Diversifizierung, die den unterschiedlichen Ansprüchen gerechter wird als ein zwanghaft harmonisiertes Monopol, dass durch instrumentalisierte Partizipationsverfahren zu legitimieren versucht wird. Selbst-tun-Partizipation verursacht oft Ängste und kann zu Misstrauen führen. Nicht selten geschieht sie auchaus einem "dann-mache-ich-es-halt-alleine- Impuls". Vertrauensbildung und ausführliche Kommunikation sollten daher die Selbst-tun-Partizipation immer begleiten.