von Jascha Rohr (06/18)
Unser Verständnis was eine Kommune ist, ist ständig im Wandel. War es im Mittelalter eine Schutzgemeinschaft gegen äußere Bedrohungen und im Kaiserreich eine patriarchal -autoritäre Lokalregierung, ist das Bild der Kommune seit den 90er Jahren von einem ganz speziellen Leitbild geprägt: dem des New Public Management, in Deutschland auch als Neues Steuerungsmodell bekannt. Vereinfacht gesagt bedeutet dieses Leitbild, dass wir eine Kommune wie ein Unternehmen betrachten. Bürger sind Kunden, die Politik ist die strategische Unternehmensführung, Verwaltungen sind die operationalen Dienstleistungsabteilungen. Steuerung und Management sind die wichtigsten Begriffe, die kommunales Handeln beschreiben. Dieses Leitbild wirkt sich auf unser Zusammenleben aus.
Demgegenüber entwickelt sich gerade ein neues Bild, in dem Bürger wieder Bürger sind, mit demokratischen Rechten und Pflichten, vor allem aber mündige und engagierte Mitgestalter. Nach diesem Leitbild organisiert die Politik Meinungsbildung, Diskurse und unterstützt bei der Entwicklung politischer Ideen und die Verwaltung organisiert und ermöglicht die Entwicklung, Planung, Umsetzung und den dauerhaften Erhalt von Projekten. Die Kommune wird zu dem Ort, wo wir gemeinsam und kreativ unsere lokale Zukunft gestalten. Ich nennen dieses neue Leitbild das der kokreativen Kommune.
Wodurch zeichnet sich die Kokreative Kommune aus und wie lässt sich ihr Leitbild umsetzen?
- Kommunikation auf Augenhöhe und Transparenz
Das Bild von denen da oben und denen da unten ist nicht nur falsch, es befördert auch Ressentiments und Populismus. Flache Hierarchien sind dagegen ein Merkmal einer kokreativen Kommune. Wir arbeiten gemeinsam an unseren Problemen und Vorstellungen eines guten Zusammenlebens. Dazu gilt es sich offen zu zeigen, keine versteckten Agenden zu verfolgen und alle Beteiligten auf den gleichen Informationsstand zu bringen. Wir machen keine PR und „verkaufen“ niemandem etwas, sondern kommunizieren auf Augenhöhe miteinander. Dazu gehört, dass wir neue Formate entwickeln um miteinander zu sprechen, z.B. offene Foren und Dabattenorte: z:B. eine Gemeinscahftslounge im Rathaus, ein offenes Wohnzimmer, konkrete Zusammenarbeit statt Repräsentation. - lokale Gemeinschaft der Engagierten
Egal ob Kiez, Bezirk oder Dorf: dort wo Menschen sich mit einem Ort identifizieren und Ihren Alltag verbringen, kann lokale Gemeinschaft entstehen. Doch heute ist Gemeinschaft nicht mehr eine Gemeinschaft der Gleichen, wie das Dorf im 19 Jahrhundert, sondern eine Gemeinschaft der Verschiedenen. Die Gemeinsamkeit liegt im Interesse und Engagement für den Ort, nicht im gleichen Lebensstil oder in den gleichen Ansichten. In kokreativen Kommunen gelingt es diese Gemeinschaften in ihrer Verschiedenartigkeit zusammen zu bringen. Dazu braucht es Moderationskompetenzen und kollaborative Führungsqualitäten in Politik und Verwaltung. Unter dem Begriff „Community Organizing“ gibt es z.B. hilfreiche Methoden um Gemeinschaften aufzubauen und zu pflegen. - Kontinuierliche Beteiligung
Die Vorstellung, dass Beteiligung so etwas sei wie eine Kundenbefragung am Anfang eines Planungsprozesses, bei der man die Wünsche der Bürger einsammelt und dann mit Experten konventionell weiterentwickelt, ist mittlerweile veraltet. Die Planungsphase 0 reicht nicht aus. In der kokreativen Kommune ist Beteiligung eine stetiger, kontinuierlicher Prozess, der sowohl alle Planungsphasen einzelner Vorhaben, als auch die Zusammenhänge zwischen den Vorhaben in den Blick nimmt. Für solche kontinuierliche Beteiligung müssen entsprechende Formate gefunden und etabliert werden, z.B. regelmäßige Stadtteilwerkstätten, Kommunallabore oder kommunale Coworking Spaces. - Projektarbeit
In der kokreativen Kommune werden kreative und innovative Projekte zum Nutzen aller entwickelt. Die Verantwortung dafür liegt bei den Engagierten selbst, Politik und Verwaltung werden zunehmend zu Ermöglichern. Wo Engagement vorhanden ist, wird es gefördert. Hürden werden abgebaut. Dafür tragen die Engagierten die Verantwortung dafür, dass ihr Projekt innerhalb der Kommune Zustimmung findet, andere Akteure gewonnen und eingebunden werden und eine realistische Umsetzung möglich wird. - Zusammenarbeit, Fehler- und Innovationskultur
Wo Neues ausprobiert, Ideen entwickelt und Projekte umgesetzt werden, passieren Fehler. In der kokreativen Kommune ist eine gute innovative Zusammenarbeit nur möglich, wenn man offen und lernbereit ist und lösungsorientiert mit Fehlern und Schwierigkeiten umgeht. Eine solche Kultur der Zusammenarbeit muss eingeübt werden. Auch dazu gibt es entsprechende Kompetenzen und Methoden, die sich Politik und Verwaltung als Teil ihres Repertoires aneignen können, z.B. im Design Thinking, im Sozial Design und im partizipativen Gestalten. - Gestaltete Verfahren
Viele Verfahren der kommunalen Arbeit sind formal vorgegeben. Noch größer ist aber der informelle Bereich, in dem sich Menschen miteinander austauschen, Ideen und Konzepte entwickeln und Projekte umsetzen. Für diesen informellen Bereich haben wir freie Hand, den eigenen Bedürfnissen entsprechende, informelle Verfahren zu entwickeln. Das muss nicht immer der Arbeitskreis oder die Bürgerversammlung sein. Wir könne hier aus einem reichen Fundus an Formaten wählen und eigene Verfahren konzipieren, die die Menschen in genau der Weise zusammen bringen, wie wir es benötigen, beispielsweise Stadtwerkstätten, Bürgergutachten und -haushalte, Themenräte (z.B. Zukunfts-, Kultur- und Ernährungsräte) u.v.a. - Prozessarbeit und Kultivierung
Bei allen Methoden, Formaten und Verfahren ist es wichtig eins nicht aus dem Blick zu verlieren: mit verschiedenartigen Menschen gemeinsam Zukunft zu gestalten, hat immer auch mit Gruppenprozessen zu tun: mit Geschichte und Geschichten, Krisen und Konflikten, Missverständnissen, Enttäuschungen aber auch Hoffnungen und Träumen. Letztendlich stoßen wir in der Kommune in all unserer Menschlichkeit aufeinander, gerade wenn es uns um etwas geht: um unser Lebensumfeld, unsere Mitmenschen, unsere Zukunft. In der kokreativen Kommune wissen wir um diese Prozesse, haben keine Angst vor Ihnen und stellen uns Ihnen mit Mut, Neugier und Offenheit, weil wir wissen, dass das Neue nur dann entstehen kann, wenn wir mit dem Alten aufgeräumt haben.