Die Welt erzählen

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Fuchs war die einzige Person in der Welt, aber Fuchs war einsam. Er dachte sich: “Ich würde gerne jemanden treffen.” Um jemanden zu treffen, begann er zu singen. Dann traf er Kojote. “Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass ich niemanden treffen würde”, sagte Fuchs. “Nun, da bin ich”, antwortete Kojote, “aber was sollen wir nun machen?” “Lass uns die Welt machen!” sagte Fuchs. “Na schön, aber wie?” “Lass uns singen!”

trad. Nordamerika

Fuchs und Kojote sind die ersten Personen, die in der Welt wandeln und trotzdem beschließen sie die Welt, in der sie künftig leben wollen, zu schaffen. Noch finden sie sich nicht zurecht und sind einsam. Fuchs hatte schon Sorgen deswegen. Wenn wir uns Fuchs und Kojote, die sich gerade erst getroffen haben, in der noch leeren Welt vorstellen, dann würden wir vermuten, dass sie sich erst mal daran machen, die Welt, in der sie sich vorfinden, zu entdecken, zu erforschen und dass sie damit beginnen, nach Nahrung und Unterschlupf zu suchen. Nicht so Fuchs und Kojote. Sie singen oder erzählen ihre Welt erst ins Sein. Verrückt?

In fast allen Kulturen dieser Welt gibt es Geschichten von Trickstern – Schelme, Narren und listige Tiere, die nicht nur unsere herkömmlichen Wahrnehmungen und Vorurteile in Frage stellen und sich die widersprüchlichen Überzeugungen der Menschen und anderer Tiere zu Nutze machen. Vielmehr sahen viele Urvölker die Trickster auch als Schöpfer der Welt an. Sie sind heimatlose Wanderer zwischen Himmel und Erde, die auf Grund ihrer Heimatlosigkeit und ihrer Position als Außenseiter der Gesellschaft oder des Tierreichs gezwungen sind, ihrer Welt einen Sinn zu geben. Das Singen und Erzählen ist die Magie des Tricksters.

Erzählen wird bei ihm zu einem Bauvorhaben und das Gebäude, dass sich der Trickster baut, ist der Platz in der Welt, an dem er sich Bedeutung gibt und an dem er sich auskennt. Wie jedoch ein Hausbauer nur mit den Materialien bauen kann, die ihm zur Verfügung stehen, kann der Trickster nur Geschichten erzählen, die sich in die Welt, die er vorfindet, einfügen. Und trotzdem ist er auch in der Lage die Welt durch seine Geschichten neu zu fügen und zu erklären, wie der Hausbauer die Materialien zu einem Gebäude nach seiner eigenen Planung zusammenfügt. So wie dieses Gebäude den Ansprüchen des Baumeisters genügt, so schaffen die Geschichten des Tricksters eine Welt, die den Handlungen des Tricksters Sinn verleihen und ihn besser dastehen lassen, als es vor den Geschichten möglich war.

Der Trickster ist kein allmächtiger Schöpfer, der aus einer weltfernen Perspektive die Welt nach seinem Willen aus dem Nichts schafft. Fuchs und Kojote wissen sehr wohl, dass sie zufällig an einem Ort und in einer Zeit leben. Sie müssen ihre Rollen in der Welt und ihre Beziehungen zur Welt erst durch ihren eigenen Gesang, ihre eigenen Geschichten schaffen, wohl wissend, dass sie auch sich selbst dabei austricksen. So singen sich Fuchs und Kojote einen Klumpen Lehm herbei, den sie singend und tanzend platt stampfen. Erst als der Fladen groß genug ist, beschließen sie Berge und Täler zu schaffen, in denen sie dann Nahrung Unterschlupf aber auch neue Herausforderungen finden werden.

Wenn wir die Welt wie Trickster sehen, dann erschließen wir uns spielerisch und ironisch die Möglichkeit unsere eigenen Welten zu schaffen, an denen wir auf bedeutungsvolle Weise teilhaben. Zwar wissen wir dann um das Spiel, das wir mit uns und der Welt spielen und doch sind wir in der Lage, kreativ einen Platz in dieser Welt einzunehmen, der nicht sinnlos und zufällig ist. Es ist ein Platz, der sich aus den Beziehungen zwischen uns, unseren Mitmenschen und unserer Umwelt ergibt und dessen Bedeutung durch das Erzählen immer neuer Geschichten ausgehandelt und gefestigt wird. Das Erzählen sollten wir dabei aber nicht anderen überlassen, sonst geben wir gleichermaßen die Kraft, unsere Welt zu schaffen und darin ein erfülltes Leben zu führen, aus der Hand.

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