Naturwissenschaft und Mythos (I) – (Hier findet sich auch der gesamte Text als pdf)
Naturwissenschaft und Mythos (II)
Naturwissenschaft und Mythos (III)
Naturwissenschaft und Mythos (IV)
Naturwissenschaft und Mythos (V)
I.4. Horkheimer und Adorno: Die Dialektik der Aufklärung
Die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno nimmt in dieser Arbeit eine zentrale Position des Brückenschlags in den zweiten Teil der Arbeit ein und wird daher an dieser Stelle behandelt, obwohl sie zeitlich vor einigen der bisher behandelten Texte einzuordnen wäre. Ihre Bedeutung für diese Arbeit ergibt sich nicht so sehr aus den in ihr angesprochenen Themen oder Funktionszuschreibungen im Zusammenhang mit Mythos und Naturwissenschaft bzw. der Aufklärung. Im Gegenteil: gerade die Dialektik der Aufklärung arbeitet als Ausgangspunkt mit Begriffen von Mythos und Aufklärung, die direkt auf Platons Trennung zurück gehen und in dieser Arbeit schon kritisiert wurden: Mythos als totalitärer, vorrationaler Verblendungszusammenhang, der sich nicht aus dem Naturzusammenhang lösen kann und Aufklärung als rationaler Erleuchtungsprozess eines mündig werdenden Subjekts. Solchermaßen verstehen sich Horkheimer und Adorno als Aufklärer, deren Ziel es ist, die Aufklärung über sich selbst aufzuklären und somit das Programm der Aufklärung fortzuführen.
Dass der Dualismus von Mythos und Aufklärung so eindeutig als Grundlage der Überlegungen der Dialektik der Aufklärung bestimmt ist, rechtfertigt auch, dass Naturwissenschaft und Aufklärung auf der gleichen Seite dieses Dualismus angesiedelt werden können. Wenn ich somit in diesem Kapitel über Aufklärung spreche, spreche ich damit über eine Konzeption von Rationalität, die auch für die Naturwissenschaft konstituierend ist. Entscheidend für diese Arbeit ist jedoch die Dialektik selbst, die von den Autoren an ihrem Gegenstand Mythos und Aufklärung entwickelt und veranschaulicht wurde. Diese Dialektik legt frei, wie sehr Mythos und Aufklärung miteinander verschränkt sind, obwohl sie von den philosophischen Prämissen her als Gegensatz gedacht werden. Vor allem aber wird die Dialektik als Erkenntnismethode vorgeführt, die ihre Begriffe nicht mit Absolutheitsanspruch zu definieren oder zu begründen sucht. Vielmehr wird gezeigt, wie mit der dialektischen Methode Begriffe in ihrer jeweiligen historisch-konkreten Konstellation zu vermitteln sind. Dialektik dürfe, so Adorno, ebenso, wie es die Gefahr einer konsequenten Aufklärung mit sich bringt, nicht im Glauben an ein letzthin Gegebenes die Reflexion abbrechen.[1] Somit sind für Adorno „Subjekt und Objekt überhaupt keine starren und isolierten Pole, sondern können nur aus dem Prozess bestimmt werden, in dem sie sich aneinander abarbeiten und verändern“.[2]
Der zentrale Satz der Dialektik der Aufklärung, dass der Mythos schon Aufklärung sei und die Aufklärung in den Mythos zurückschlage [3], drückt die Erkenntnis dieses nicht zu beendenden Prozesses aus. Gleichzeitig bezeichnet er aber auch die Grenze der Dialektik: er kann als derjenige Punkt gewertet werden, bis zu dem man auf Grundlage dualistischer Prämissensetzungen überhaupt denken kann. Denn konzipiert man die Welt als eine in Dualismen geteilte, und verlangt man weiterhin logische Kohärenz, ist an dieser Feststellung einer dialektischen Beziehung das Ende einer Erörterung, was die Begriffe Aufklärung und Mythos sind, erreicht, auch wenn die Dialektik, wie Aufklärung und Mythos sich historisch-konkret zueinander verhalten, nie zuende geführt werden kann. Nur die Aufgabe der zugrunde liegenden dualistischen Ontologie kann neue (nicht unbedingt bessere, aber unter Umständen historisch relevantere) Qualitäten in die Debatte einführen. Demgegenüber hat Jürgen Habermas in seiner Theorie kommunikativen Handelns gerade diesen radikalen, alles umspannenden und Gesellschaft, Individuum und Natur analogisierenden dialektischen Geschichtsbegriff Adornos und Horkheimers wieder gegen einen evolutionistischen eingetauscht, der eine vom Mythos über die Moderne zur kommunikativen Vernunft voranschreitende Geschichte propagiert. Dialektik ist bei Habermas zwar innerhalb der von ihm konstatierten Sphären der Rationalität durchaus vorhanden, doch der strukturelle Aufbau dieser dreigeteilten Rationalität versucht, die Amorphizität einer radikalen Dialektik zu stabilisieren, die nach Adorno und Horkheimer nicht stabilisiert werden kann. Habermas Theorie ist somit keine genuine Weiterentwicklung einer kritischen Dialektik. Eine solche kann nur darin bestehen, die Qualität einer offenen dialektischen Mimesis beizubehalten, sich dabei aber von der Beschränkung auf den Subjekt-Objekt Dualismus zu lösen. Ich werde im zweiten Teil dieser Arbeit versuchen zu zeigen, dass es möglich ist eine pluralistische Haltung zu finden, die Theorie und Metatheorie zugleich ist und die die Amorphizität der Dialektik nicht nur halten, sondern sogar radikalisieren kann.
Der Nationalsozialismus war ein wichtiges Element der Situierung Horkheimers und Adornos, während sie im amerikanischen Exil die Dialektik der Aufklärung schrieben. Als historisches und gesellschaftliches Phänomen stellte es die Autoren vor eine Reihe soziologischer, philosophischer und biographischer Fragen. Wie, so die zentrale Frage der beiden, konnte es sein, dass im Zeitalter der Aufklärung ein solcher Rückfall in die Barbarei möglich geworden war? Schließlich war die Aufklärung damit angetreten, den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, ihm Freiheit gegenüber absolutistischer Willkürherrschaft und – mit naturwissenschaftlichen Methoden – über die Naturzwänge zu geben. Trotzdem hat ein Regime wie das der Nationalsozialisten entstehen können und den Menschen in noch tiefere Unfreiheit und Barbarei gestürzt. Ein Grundgedanke von Horkheimer und Adorno war, dass zwar in der Tat eine Entwicklung vom mythischen zum aufgeklärten Menschen stattgefunden hat, dass aber die Vernunft als Werkzeug der Aufklärung bei der Bestrebung die äußere Natur zu beherrschen, die Tendenz zeigt, gleichzeitig die innere Natur zu unterdrücken.